Noch heute erscheinen Bibelübersetzungen, die Gott als Herrn darstellen. Noch immer ist es möglich, ein Theologiestudium ohne jede Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen zu absolvieren. Trotzdem hat sich in den letzten 50 Jahren einiges getan in der feministischen Theologie.
Ein Essay von Evelyne Zinsstag.
zuerst erschienen www.bildungkirche.ch/magazin
Was haben die jüngst erschienene BasisBibel, die Luther Bibel von 2017 und die Zürcher Bibel von 2007 gemeinsam? Sie übersetzen das Tetragramm des Gottesnamens JHWH durchgängig mit HERR, ohne die mittlerweile 50-jährige Kritik an dieser Übersetzung zur Kenntnis zu nehmen: «Wenn Gott männlich ist, ist das Männliche Gott.» So formulierte es die radikale katholische und später post-christliche feministische Theologin Mary Daly 1973 in Beyond God the Father (zu Deutsch Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.).
Diese Erkenntnis hat sich seither nur mit Mühe Raum verschafft – etwa in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache von 2006, die für den Gottesnamen verschiedene Bezeichnungen anbietet und so zu einem Nachdenken über Gottesbilder anregt. Seit den frühen 70er- und den späten 00er-Jahren hat sich viel getan in der feministischen Theologie – und leider noch viel zu wenig in der sogenannt «allgemeinen Theologie», in die junge Studierende an den meisten Universitäten eingeführt werden. Dass heute noch Bibelübersetzungen erscheinen, die Gott einseitig als Herrn darstellen, belegt dies nur allzu deutlich.

Ignoriert und ausgeschlossen
Dabei haben gerade in den exegetischen Fächern feministische Ansätze bedeutende Erkenntnisse über die Rolle der Frauen in der Bibel und auch über deren Unsichtbarmachung beigetragen. Unsichtbar gemacht wurden und werden natürlich nicht nur Protagonistinnen biblischer Geschichten, sondern auch Frauen in der Kirchen- und Theologiegeschichte. So ist auch die Geschichte der feministischen Theologie voller Erfahrungen des Scheiterns, des Ignoriert-werdens oder des Ausschlusses. Der Berner Alttestamentlerin Silvia Schroer wurde bei ihrer ersten Berufung auf einen katholischen Lehrstuhl in Tübingen 1991 das bischöfliche «nihil obstat» verweigert – so wurde sie schliesslich Professorin an einer reformierten Fakultät. Die Theologin Ina Praetorius wiederum konnte an der Theologischen Fakultät Zürich 1987 mit ihrer Doktorarbeit Anthropologie und Frauenbild in der deutschsprachigen protestantischen Ethik seit 1949 nicht promovieren – die Doktorwürde wurde ihr stattdessen 1992 in Heidelberg verliehen. Die feministische Theologie entstand im Zuge der Zweiten Frauenbewegung ab den 70er-Jahren und verbündete sich früh mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Sie war von Beginn an unbequem mit ihrer unverblümten Kritik an patriarchalen Machtstrukturen, androzentrischen Denkmustern, und schlicht an der vielfältigen Gewalt, die dem weiblichen Geschlecht im Namen der christlichen Religion angetan wurde, und sie bleibt es bis heute. Die Konsequenz: Sie wird, ausgenommen von entsprechend gesinnten Professor*innen und Dozierenden, einfach ignoriert. Und es ist weiterhin an vielen Fakultäten möglich, ein Studium ohne jede Auseinandersetzung mit feministischen Ansätzen zu absolvieren.
Als ich im dritten Jahr meines Studiums auf Marga Bührigs Die unsichtbare Frau und der Gott der Väter. Eine Einführung in die feministische Theologie von 1987 stiess, öffnete sich mir ein neuer Zugang zur Theologie. Plötzlich hatte diese mit mir persönlich zu tun und glich nicht mehr nur einer Menge abstrakter Konzepte. Über verschiedene Netzwerke lernte ich feministische Theologinnen in der Schweiz kennen und tauchte in aktuelle Themen ein: Stichworte wie Gleichheits- und Differenzfeminismus, Befreiungstheologie, Intersektionalität, Queer Theology, Womanist Theology, interkulturelle und postkoloniale Theologie und weitere mehr.
So vielfältig sind die Themen und Ansätze, dass sie sich nicht in einer abstrakten Theorie fassen lassen – es sei denn im Bekenntnis zu einer anwaltschaftlichen Art der Theologie, die gezielt marginalisierte Perspektiven einnimmt und sich für deren Recht einsetzt. Aus diesem Grund bleibt die Erfahrung schmerzhaft, dass trotz vieler überwundener Hindernisse der Weg zur Aufnahme in den Kanon der Theologie grösstenteils unerreicht bleibt.
Netzwerke schaffen neue Freiräume
Auf der anderen Seite hat ebendiese Erfahrung in der Frauenbewegung immer wieder dazu geführt, dass Frauen lernten, sich aufeinander zu beziehen, anstatt auf Anerkennung von aussen zu hoffen, und sich so neue Freiräume zu erschaffen. In diesen Räumen können sie die eigene Situation und daraus hervorgehende Standpunkte ergründen und Strategien fassen, diese Standpunkte nach aussen zu tragen. Ein solcher Raum entstand kürzlich im Januar, als Münchner Doktorand*innen feministische Theologinnen verschiedener Generationen zu einem Podium luden. Im kontroversen Gespräch zeigte sich, dass die feministische Theologie nicht von Harmonie und Einheitlichkeit geprägt ist, sondern vom gemeinsamen Kampf um Gerechtigkeit für alle Geschlechter – ein Kampf, der auch widersprüchliche Positionen beinhalten kann. Ein anderer solcher Raum, die IG feministische Theologinnen, feiert dieses Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Die ökumenisch ausgerichtete Interessensgemeinschaft engagiert sich durch öffentliche Stellungnahmen und Weiterbildungen für Geschlechtergerechtigkeit in den Kirchen und eine bessere Vernetzung unter gleichgesinnten Frauen. Eine ihrer Gründerinnen, die Theologin Doris Strahm, erhielt im Dezember 2020 von der Uni Bern die Ehrendoktorwürde für ihr feministisch-theologisches Lebenswerk. Solche Meilensteine und Ehrungen ermutigen für den weiteren Weg, der vor der feministischen Theologie liegt – ein Weg, der gewiss nicht frei von Steinen sein wird, der aber zu überraschende Aussichten und hoffnungsvollen Perspektiven führt.